Odysseus, späte Tage
Jahre, nachdem des Vaters Schiff
Im heimatlichen Hafen angelegt,
Sah ich endlich ein,
Dass er nie angekommen war am Ziele
Seiner Irrfahrten.
Ob aber er davon wusste,
Davon kann die Rede nicht sein.
Es war kaum mehr denn ein Gefühl zuerst,
Das seiner sich bemächtigte
Abends am Feuer,
Und das doch seine Spuren ließ und,
Dem Wurzelgeflecht eines Pilzes gleichend,
Unser gemeinsamen Lebtag durchwuchs.
Ich könnt' nun tausend kleine Taten nennen, um Dir
Des Vaters Leiden kenntlich zu machen.
Doch anstatt bloß jeden Ausdruck
Seines tiefen Schmerzes aufzuzählen,
Will ich nichts sagen denn:
Er ruhte nicht.
Rastlos war er jetzt, da mehr denn zehn Jahre
Er nichts gesucht hatte als Rast;
Und ruhelos, da Weib und Sohn
Und Dienerschaft ihm Frieden stiften wollten. –
Je öfter des Helios Ritt
Die Haut ihm gerbte,
Desto mehr ward jeder Schritt das stete Tappen
Eines alten Mannes, und jedes Wort Erinn'rung nur
An den einst'gen Helden,
Die Mitleid weckte,
Sonst nichts.
Der wohl genährte Körper, der vor den Toren Ilios'
So manchen Sieg im Zweikampf ihm errungen,
War mager nun und knochig;
Die ehmals stolze Brust des Heros
Eingefallen und gebeugt.
Sein Verstand aber, der den Polyphem
Durch List getrügt, und der Vater und Gefolge
Aus der Kirke lieblichen Fängen befreit,
War matt geworden
Und verlor sich oft an solche Dinge,
Denen keiner einen Wert noch zusprach
Außer ihm.
So bestand er gar darauf, den Hirten Patroklos – der
Laertes, seinem Vater,
Meinem Großvater, die Ziegen bereits gehütet –
Zu begleiten auf dem Gang
Mit seiner Herde, um, so sprach er immer,
Keinen Zweifel zu lassen daran,
Ob der alte Hirte seine Arbeit auch
Gewissenhaft verrichte.
Sodass der Alte selbst eines
Abends zu mir trat
Und bat, ich möge den früh Ergreisten
Davon abbringen, der
Aus Laienmund und stetig
Jeden Fehltritt schalt, wo keiner war,
Und Patroklos die Arbeit nur erschwerte. –
Und so war's mit der ganzen Dienerschaft,
Sodass Odysseus schließlich,
Dem Titel eines Hausherren
Gerecht zu werden meinend,
Sich verlegen musste auf die Räume der Familie,
Und hier die Ordnung zu besorgen suchte,
Die keine war.
Seine Waffen etwa, die einst
Der Feinde Blut vergossen,
Waren von da an zum Inhalt ihm geworden und
Er pflegte sie täglich,
Gebrauchte sie nie.
Wie zu seiner Blütezeit
Die Heerschar'n des Achaierlandes
Standen Schwert und Schild
Und Lanze aufgereiht,
Doch dienten keinem Zweck, als meinem Vater
Seinen Lebtag auszufüllen.
Nächte verstrichen dem Dulder
In der dunklen Kammer
Zwischen Eisen und Leder, das
Nach großer Schlacht sich sehnend,
Zum bloßen Schmuck erstarrt war.
Er sprach sich selbst allein,
Da er zu uns nicht weiter sprach.
Sein Selbstgespräch war Steinbruch einer
Stetig währ'nden Rede, die
Dem aufgewallten Herz des Vaters
Keinen Augenblick der Ruhe mehr gewährte.
Und taub war er geworden für jede
And're Rede, sodass er häufig
Fragend unterbrach, sprach einer zu ihm,
Und manchmal kurz darauf dieselbe Frage
Wieder stellte, denn die Antwort schon
War nicht mehr an sein Ohr gedrungen.
Es war zu dieser Zeit sein Antlitz nicht mehr
Vorzustellen ohne die zur Brust
Erhob'ne Rechte, die,
Zittrig schon und schwach,
Er wie zum kümmerlichen Schutze
Vor sich hertrug.
Das Schlimmste aber war des Vaters Wut,
Die wir, in lichten Zeiten sie
Verstehend als ein Zeichen der Gesundheit,
Zwar zu spüren noch bekamen, die aber
– Denn den Dämon in des Vaters Herzen
Konnt' sie länger nicht bezwingen –
Sich in Angst verkehrte und Entsetzen. Sodass,
Was oft auf seine Feinde
Und auch Liebsten er geschossen,
Er nun richtete
Gegen sich selbst allein.
Des Herakles göttergleicher Körper
Hätt' diese Last nicht tragen können –
Wie sollte sie tragen der greise Körper
Meines alten Vaters Ulyss.
Solange Vater fort gewesen, hatte Penelope – die,
Mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet,
Von zahllosen Freiern umworben –,
Das Anerbieten eines jeden
Ausgeschlagen, und sprach stattdessen des abends
Zu mir: Sie hoffe, nach des Gatten Rückkehr
Ihren Lebensabend weilen zu dürfen
An dessen Seite. –
Unendlich mehr wert wäre ihr dies
Als ein volles Leben an der Seite
Eines jeden ander'n Sterblichen.
Und ich, damals
Kaum alt genug, den Wagen zu fahren,
Schöpfte Hoffnung
Aus der guten Mutter Zuversicht.
Nun, da ich den Wagen führe,
Denn der Vater ist zu schwach,
Sprech' ich zu der Mutter oft,
Dass Vater, der so viel geduldet, auch
Diesen Feind bezwingen wird.
Und doch, wir wissen insgeheim:
Der Zorn gegen das eig'ne Herz
Ist mehr denn aller Götter Strafen.
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