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  • Karim Gamil

Der Hirte

Ja Entschuldigung, aber ich glaube es ist langsam Zeit, dass diese Scharade hier langsam an ihr Ende rührt. Ja ich unterbreche, ja ich finde diese ganze Veranstaltung hier unerträglich und schwer verdaulich. Sie kommen hierher, schauen uns beim Leiden zu, lachen sich zu Tode - wie lustig - während wir alle hier verrecken. Wir Eindringlinge, die überall verstoßen werden und nirgendwo gehören, wir suchen uns einen Schlafplatz aus und werden von euren Gelächter und von unseren Schreien aufgeweckt.

Ich möchte hier als Hirte eine Sache festlegen. Das sind meine Schafe und ich verteidige Sie mit meinem Leben. Ihr habt nichts zu sagen, ihr Wölfe, ihr bösen Verachter alles Guten und Gerechten. Für euch schuften wir… für euch halten wir uns zusammen, damit keiner von diesen triebgesteuerten Katastrophensüchtigen ausbricht und euch den Hals bricht und das Blut von den Adern aussaugt, bevor es sich die Zähne mit euren Fingernägeln sauberputzt.

Erscheine ich euch unsympathisch, Ihr Ziegenficker? Ihr kennt mich nicht. Du kennst mich nicht, du Wolf. Du hast mich nie wirklich gekannt, dein ätzender Blick hat nur eines gemacht, und zwar: mich verpasst, und wenn er mich ein mal getroffen hat, dann war es nur, damit er mich in der Nacht restlos wach hält. Du Teufelswesen, du böse Schöpfung, ja bevor ich dich kannte brauchte ich nie fragen: “wenn Gott oder Natur, woher also das Böse?”, aber mit dir kam am 7. Tag die Verkündung vom Ende, ja das möchte ich vor allen Anwesenden und Abwesenden hier und jetzt festhalten: Bevor es dich gab, gab es Frieden!

Es gab Frieden…Frieden auf Erden, hat mir der Große da oben verkündigt und mit dir kamst du, du Übel, du Wolfsgestalt, mit dir haben wir all das gelernt. Ich zum Beispiel habe die Nacht kennengelernt, ich habe gelernt, auf Träume zu verzichten, um mit dir in die Tiefen der Wachheit zu versinken. Endlose Gespräche, zweck-los vor allem, wozu? Wozu hast du mich immer wieder ans Äußere unserer Grenzen geholt, mich verführt, mich von meinen Schafen abgelenkt, damit ich nicht mehr auf sie aufpassen kann, damit niemand sie schützen kann, damit sie schutzlos weiter vegetieren, bis einer deiner Art uns überfällt?

Eurer Art sind auch überall beharrt…nur eine andere Rasse mit so viel Haarausfall gab es auf Erden und zwar Huskies, die hat man aber domestiziert.

Du bist ein Wolf, du Raubtier, du und die ganze Welt, und es ist nur einem von uns gestattet, sich zu rächen. Mich hat man hier eingesperrt, mich hält man fest an diesem elektrischen Stuhl und dich lässt man frei… du Teufel… Luzifer… Licht hast du uns nicht gebracht… nur Dunkelheit, Verwirrtheit, du hast alles verschwommen und seitdem sind wir alle nur noch blind. Das ist das Einzige, was wir noch tun können, was ich noch tun kann, verblinden, während die anderen halb labilen, halb debilen in diesem Kerker vergammeln.

Manchmal gehe ich all unsere Gespräche durch. Du hast uns noch so viel versprochen, du sagtest, du könntest uns alle befreien. Wozu eigentlich? Wozu wolltest du uns befreien? Um uns alle aufzuessen?

Vielleicht wäre das besser gewesen.

– Der Hirte


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