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  • Joshua Loska

Ein tägliches Ankommen

Ilya wachte auf. Evgenia lag warm neben ihm. Sie hasste seinen Namen. Der Mörder ihrer Eltern hatte diesen Namen getragen. Aber sie mochte ihn. Sie war da ganz offen.


Seit einigen Tagen schien es ihr wichtiger zu sein pünktlich zu kommen. Das konnte sie also doch, ging es Ilya durch den Kopf. Ein merkwürdiges Wesen.


Im Winter würde er nochmal die Straßen kontrollieren und schauen ob die Wege, die sie gehen musste einigermaßen sicher waren. Aber jetzt war es wohl erstmal der Fall.


Im Sommer hatte er sich zweimal fast geschlagen, wegen irgendeiner beschissenen Scheiße. Einmal wollte ein Haufen Pisser seine mangelnden Fähigkeiten im Fußball spielen nicht auf den Fußballplatz verlagern. Stattdessen waren sie scheinbar bereit sich mit ihm zu boxen, als er den Ball festgehalten hatte, nachdem sie zweimal fast ihre Köpfe getroffen hatten. Ilya war ganz ruhig geblieben und hatte dem fettesten und größten in die Augen geblickt. Die Beschimpfungen waren an ihm abgeprallt. Er war bereits einen Schritt weiter. Keine Messer. Der Kleine neben dem Dicken traut sich nicht. Der Dicke ist der Kopf. Wenn er zu Boden geht, suchen die anderen das Weite.

Der Dicke muss etwas in Ilyas Augen gesehen haben, denn er ließ ab von ihm. Beschränkte sich auf Beschimpfungen. Das Spielen hörte auf.


Ein anderes Mal hatte ihn jemand auf der Straße verfolgt und nicht glauben wollen, dass er keine Zigaretten hatte. Es waren mehrere Straßen gewesen in denen er den Rufen ausgesetzt war. Sie waren aggressiv gewesen. Fast so, als würde es um einen Raub gehen. Offen aggressiv. Polizei in der eigenen Tasche. Bezahlt vom Geld des Raubes. Fast wie zu Hause. Aber Zigaretten? Ein Süchtiger.Ein Vorwand? Unberechenbar. Messer? Зброї? Gefährlich. Einige Seitenblicke. Taumeln. Vorgetäuscht? Nein, ein armer Süchtiger. Einen Kampf kannte er nicht.

Ilya war stehengeblieben und auch hier musste der Fremde etwas in ihm gesehen haben. Denn auch er ließ von ihm ab.

Habe ich mich so verändert?


Danach hatte Ilya sie gefahren. Ein paar Mal. Doch er wusste, dass sie ihre eigenen Erfahrungen gemacht hatte und sie hatte Zigaretten dabei.


Heute war sie alleine gegangen. Und pünktlich.


Wie bekomme ich diesen ganzen Mist aus meinem Kopf?


Und während er den letzten Rest von seinem Kaffee mit altem Kreatin (eine Empfehlung seines neuen Mitbewohners) gurgelte, fragte er sich was er hier eigentlich machte. Ich lebe. Ich lebe. Ich lebe. Das musste reichen.


Sie waren beide aus der Kälte gekommen und hatten sich im Sommer getroffen. Und bei einem Glas Espresso brauchte es keine 30 Minuten um die Zukunft zu planen. Ruhig standen sie auf. Versunken in ihre eigenen Schlachten, die Tag für Tag enger verwoben wurden, schlenderten sie nach Hause. In den geteilten Hafen. Den Hafen den beide liebten und hassten. Irgendwann würden sie hierhin zurückkommen. Vielleicht auch ihre Kinder mitnehmen und sich dann anlächeln, küssen und schweigen.

Hoffentlich kommt der Krieg nicht hierher. Keine Sirenen. Keine Stromausfälle. Keine Toten … keine Toten mehr.


Alles Komplexe ließ Ilya los. Er würde die Welt nicht verändern. Er würde für sich und Evgenia kämpfen.


Hier auf diesen Seiten war alles was er brauchte. Brutal und brutal einfach.


Das Schwere kam von ganz allein.



Am 9. Dezember haben wir im Universitas unsere vierte Lesung »Revue« gehalten. An diesem Abend haben Felix Kunz, Ege Görgün, Jakob Burgi und Patrizia Hinz aus unserer Redaktion neue Texte präsentieren. Auf unsere Ausschreibung hin haben außerdem unsere regelmäßige Gastautorin Klaudia Rzeźniczak und ein neuer Gastautor, Joshua Loska ihre Texte bei uns vorgelesen. Als musikalische Begleitung hat wie immer das Duo »blues no blues«, auch bekannt als Felix und Shadi, begeistert.

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