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Franziska Jauss: Texte

  • Franziska Jauß
  • 30. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

Wenn Theorie sabbert und der Bizeps küsst – zwei männliche Narzissmen im Freilauf


Die Welt des Wissens ist unendlich wie eine Bibliothek der tausend Bücher und verführt strebsame Seelen, die wissen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, oder welche mannigfaltige Ausformungen “die Theorie” annehmen kann. Das Problem ist nun, das einige Männer - weltliche Exlianten der ehrwürdigen Akademia - sich praktisch jeder ihnen interessant und wichtig erscheinenden Ausformung der Theorie hingeben und akut so sehr mit der Ausgestaltung und Analyse ihres Gedankengebäudes eifrigst im Verbunde leben, dass dies unweigerlich zu heftigsten Dominanzen führt. Das meint konkret, der Mann der Theorie unterjocht jede nette und noch so leger gewünschte Konversation seinem welterhellenden neuem Verständnis, welches er explizieren muss. Ja, der Mann und sein willensstarker, obendrauf wissbegrieriger Geist kann nicht anders, er muss erklären. Sein Kopf nimmt -surrealistisch gemalt - fantastische Ausformungen an und das Gegenüber schrumpft im Zuge der wortreichen Herrschaft zu einem stummgeredeten Container, in den mit allen Mitteln die Querverstrebungen und die innernarchitektonischen Details des Theoriengerüstes hinein sollen – unbedingt, aber dann mit nur einer didaktischen Methode: der Selbstdarbietung. Das akademische Antlitz, das es geschafft hat, in jenen Sälen der gewussten Welt seiner Weisheit Heimat zu geben, ergötzt sich an seiner Darstellung, holt aus, macht Bögen, übersteigt Kämme, hebt ab über das Dach hinaus – das Gegenüber versackt hingegen entweder in einem ihm unbekannten Keller öder Worthülsen oder schafft es gerade noch sich aus der Affäre zu ziehen und in den baumblättrigen Hintergrund des Gegenübers seine entzogene Aufmerksamkeit hinein zu trotzen – “Wie hübsch die kleinen Blättchen, wie groß sie wohl morgen seien werden?” Nun jedenfalls, früh übt sich. Schon oft Gematterte von sich akdemisch ergötzender Männer sollten besser noch einschneidendere Konsequenzen folgen lassen. Besonders zu empfehlen sind - statt jener niedrigschwelligsten Variante visueller Schleichgänge aus der Bearbeitung hinaus - die offene Rebellion, der polemische Abgang oder ein persifliert-überzogenes Mitspiel, so das Spiel einer Katze mit seiner Maus Freude (der kämpferisch-lüsternen Umkehrung der Verhältnisse) bereitet – nur zu. Nur nicht auf Durchzug schalten, denn da bleibt die Gefahr, dass zu viel des männlich-hochtrabende Chauvinismus durchsickert – aber wir wollen ihre Selbstdarbietung nicht, gar nicht und bezeichnen das als einen männlichen Narzissmus. //

Muskeln steigen Menschen vielleicht nicht zu Kopfe und eignen sich immerhin nicht zum abhebenden Parlieren, aber es gibt andere spezifische Merkwürdigkeiten: Die Lippen spitzen sich, die Bizeps straffen sich, schwellen zu Volumen an und Lippenspitzen und Vollvolumen treffen sich – zum Muskelkuss. Mann wird also wagemutigst Herr über sich oder er wird zur Selbstfindung des Kusses in der betörenden Landschaft des Muskulus. Der Muskelkuss steht für das perfekte Verhältnis – zeitaufwendige Arbeit an der Muskelmasse trifft auf die Flüchtigkeit eines Kusses, der noch mit der romantischen Selbstperformance leger zwinkert. Der Muskelkuss ist Selbstliebe, aber eben keine, die einfach so daher weht, sondern sie ist hart erkämpft, eine die Gewicht getragen und gewichtig, ernst zu nehmen ist. Der Manne hat gehievt und die Natur erlicht (ihm). Denn, nun ja: Der Bizeps ist ja da. Die Liebe zu ihm auch. Es ist einfach. Und darin liegt die Stärke sagt der Muskelküsser zur Muskelkussphilosophie. So wie sich Bi- und Trizeps hin und her biegen, stellt sich eine perfekte Balance ein – es ist einfach. Starke Bänder, stabile Mitte. Nun so biegen sich die Weisheiten in die hyperpräsenten Körperanschwellungen hinein und geben dem Hirne ein Maß vor – stark. Ja es ist eben perfekt: So sichtbar wie die Muskelphilosophie Materie für sich gewinnt, so geschmeichelt können ihr im selben Zuge Flügel in bewunderungsvollen Blicken erwachsen: „Flexi ist aber stark geworden, ja und so gut küssen kann er auch noch, wo hat er das nur gelernt?“ So wird und darf der starke körper – und schwellbewusste Mann küssend durch die Welt in seine Muskeln sich verlieben. Ob sich dabei Mund zu Muskel oder Muskel zu Mund verformt, ist ein noch zu klärender Topos dieses zweiten männlichen Narzissmus in Freilauf. Denn sie leben ja auch heute noch, so – genau so.

Grundsätzlich muss in aller Schärfe gesagt werden, dass es als ein höchst unsinniger Kurzschluss zu gelten hat, die Verbindung von massiger Materie und legerem Kuss könne von männlicher Stärke bezeugen. Um den selig lachenden Materialismus zu gewinnen, darf der Mann sich nicht an einer anachronistischen Logik männlicher Körperstärke ergötzen. Das schickt sich überhaupt nicht mehr. Die Zärtlichkeit der Muskelküsserei hilft weder der modernen Frau noch der Kinderversorgung und der Care-Arbeit. Liebe und Materie (die nicht in narzisstischem Körperwachstumsfanatismus irrt und ausartet) muss – wie die Darlegung dieses männlichen Narzissmus‘ zeigte - neu ins Verhältnis gesetzt werden. Der von seinen Muskeln befreite Mann würde sich derart endlich neu gebären. Jungfräulich hingebungsvoll. In die vernachlässigten Emotionen seines Seelenhaushalts und die ihm weltferne Care-Arbeit. Der Kuss würde sich neuorientieren müssen und die Frau würde Kussangebote nur empfangen, fänden jene Muskelei und der ihr angebundene männliche Krips ihren nutzenden Auftrag in der real-sozialen Welt, und zwar außerhalb von der Stilfigur eines heldenhaften maskulierten Schwellfanatismus.

 

 

Mein Kind

 

Du weißt, dass die gewachsenen Formen anders sind.

Aber das hält dich nicht.

Du springst hinaus aus ihnen.

Du hälst dich nicht zurück.

Wie soll das auch nur gehen, wenn dich alles so sehr begeistert, dich angeht –

Du hast keine Wahl es zu zeigen oder nicht.

Es ist unentscheidbar,– das Gefühl, die Freude, das kindliche Entzücken, die Tränen – all das Leben, das von dir ausgerufen werden will, in die Welt hinein und vor allem mit ihr zusammen.

Du zensierst nicht, aber phantasierst in alles hinein und bist eingewoben in deine Umgebung, fühlst dich in den Dingen. So liebst du.

Und die erwachsenen Formen –

unzureichend sind sie dir in diesen Momenten,

wenn ein Sonnenstrahl, ein liebenswürdiges Missgeschick, eine verletzter Taubenflügel,

ein springender Flummi dich mitreißen, du mit allem bist,

ständig.

Dann sprudelst du über sie hinaus.

Und sie erinnern dich daran erwachsener zu sein,

so, wie es sein soll. Und traurig siehst du dann ins Spiegelbild und

es verblassen deine Entwürfe in die Dinge und Situationen hinein.

Sie können dich nicht mehr so ungefiltert angehen,

wenn du dich in den Formen in ein Netz an Codes und Formeln verstrickt hast.

Du sollst vorsichtig und bedacht die Fehler antizipieren, weniger Unfälle bauen, nicht mehr so kühn auftreten.

Du wirst erkannt mit dem Nicken, geschätzt in den Blicken, verständlich in deiner Rede. Bist geordnet. Die Sprache, die Wortfinderei wird dir dein spielerisches Gehäuse. Und du kannst stolz auf dich sein. 

Die sprudelnde Unmittelbarkeit, die, die dich anspringt und mitreißt,

glitscht aber ab an deinem Feinschliff.

Und du vermisst die alten Tage,

als die Zeit ihre eigene Logik noch in den Dingen aufwies und du dich in ihnen selbst vergaßt –

weggetragen

in die vielen Welten hinein,

als der Moment in dich einwuchs und

du in ihn. 


 

Von Schuhwerken 


Sie steckten in ihren alten Holzschuhen und fühlen den Boden darin nicht.

Auch wenn sie noch so schöne Kleider ausführen in die Öffentlichkeit, unten da trampeln die Holzschuhe die kleinen Blumen platt. Aber der Mensch schaute nicht runter, war er doch angehalten, den Blick hochzuhalten, stolz wie ein dressiertes Pferd und seine Kunstallüren auszuführen. Wenn mal die Füße im Holzschuh doch erheblich schmerzten, wurden kluge Einsichten in sich selbst verkehrt und im Schuh pausiert, der Schuh ist ja schuld, ich armes Ding! Als wären sie es nicht selbst...Aber barfuß geht es ja nicht auf dem Bürgersteig, nun wahrlich, es schmerzt und dreckig ist es allemale. Aaber die, die nun viele Schuhe haben, jaa, die sind alle ganz flexibel, müssen nicht mal pausieren - bei Regen, Hitze, Hagel, alles können sie belaufen, es ist perfekt, ohne einen Anflug von Leid sind sie beinah alles - außer barfuß auf Asphalt sein zu müssen. Sie wollen die vollendete Form sein und sind so auf alles bedacht, dass selbst der Schuh mit dem Kleide harmoniert und die Blicke der Wertung nichts mehr auslassen müssen, Anerkennung zollen. Und sie fügen sich so sehr, dass der Boden ein homogenes Pflaster für genügsame Gänge wird, keine Straße ist mehr ein Hindernis, alles kann entdeckt werden,

herrlich!

Es gibt keinen Widerstand mehr

im Laufen und Rennen, getragen von der Flexibilität einer neuen Klasse, ja, es läuft doch ganz gut. Und wenn ich den einen Schuh besonders liebe, in deinem Lob und euren Blicken, dann weil ich mich darin besonders gut fühle, in dieser Marke trete ich als ein Wir auf – entschieden, denn das bin Ich, stark in all den Wirrnissen... Ja, wenn auch nicht stolz, weil ein dumpfes Gefühl es verweigert, aber gewiss doch selbstsicher im Auftreten und – verblendet.

Niemand kann mir den Boden unter den Füßen wegnehmen!

– es ist der Luxus, der vergessen lässt: das Schuhwerk, ein großes Geschenk? Nun, der Boden bleibt vielleicht, aber die Füße können weggenommen werden, wenn es kalt wird… Dann kriecht sie ein, die Kälte und der Asphalt wird ein Feind. Stolzierend sind Sie ignorant in der Empathie, rennen, fliegen über die Welt.

Und andere, die bleiben liegen in der Straßenecke.

Erst mit roten, dann mit schwarzen Füßen.



Zur Autorin: Studiert Philosophie und Soziologie.

Liest gerne Philosophisches, das mit Literatur kokettiert.

Sammelt gerne Gesprächsfetzen beim Altstadtspazieren für Nonsens-Texte.

Ist durchweg theaterbegeistert, engagiert sich schon lange mit Herzblut in internationalen Theatergruppen, in Deutschland und Italien.

 
 
 

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