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narciss

Felix Kunz

ich: gefügt, grasnarbe vom spruch ge-

säumt, so andacht: grabe die nägel

ein ins land und festige dich wo's

ufer den schnitt setzt.


selbst: reflex im flüchtigen spiegel-

matt, gedacht wo fläche den wechsel

kreuzt. gib hin dich ganzer gestalt wenn

friedlich die lust geht.


lös' beschwingt die hände vom herz und

fahr' in einsamkeit: nur der blick soll

ätherblind noch ruhen am grund, dort

schlafen wir entzweit.









zur form


die sapphische ode ist im deutschen ein krampf. ihre griechische urform prägen hebungsprälle – die in der deutschen sprache, die nach jeder hebung zumindest eine teilsenkung vorsieht, absolut unüblich sind. wie alle oden ist auch die sapphische als strophe organisiert mit dem schema:


–v–x–vv–v–x

–v–x–vv–v–x

–v–x–vv–v–x

–vv–x


wobei

»–« einer hebung und

»v« einer senkung entspricht. bei

»x« kann sowohl eine hebung als auch eine senkung auftreten, die hebung ist aber die regel.


den schweren und tragenden charakter der sapphischen strophe wollte ich für den narciss-text auf die spitze treiben, indem ich die ersten drei verse um jeweils die letzten beiden silben kürze, sodass der text fast nur noch aus hebungen besteht nach dem Schema:


–v–––vv–x

–v–––vv–x

–v–––vv–x

–vv–x


das ist natürlich sprachlich im deutschen nicht einwandfrei umsetzbar. dennoch ist das schreiben in dieser form interessant: die hebungsprälle zwingen zur substantivhäufung, wodurch syntaktische strukturen nahezu nicht umsetzbar sind. konsequent ergibt sich daraus der feierliche, nahezu mystische klang der sapphischen strophe.


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