- Emily Lailah Strauß
Sieben Israelis und ein Palästinenser – Eine Reise durch Sex, Gender und den Konflikt
Mit drei Kosmetiktaschen, einer viel zu hohen Libido und einem ethisch fragwürdigen Fetisch für nahöstliche Männer machte ich mich letztes Jahr im Sommer, kurz vor dem Ausbruch des Krieges, auf die Reise, um an einer Ausgrabung in Tel Azekah teilzunehmen, die u.a. auch von der Universität Heidelberg mitorganisiert wird. Nachdem ich in den ersten 20 Minuten nach der Landung schon 150 Nachrichten auf Grindr hatte, wusste ich, dass Israel und ich gute Freunde werden.
Der erste Typ, den ich gevögelt habe, war Gavriel. Eigentlich wollte ich an diesem viel zu heißen Abend vor der Ausgrabung nur dem unsagbar unerträglichen Gespräch eines deutschen Mitreisenden aus dem Weg gehen, der leider Gottes im selben Hotel in Tel Aviv untergebracht war. Und so fuhr ich mitten in der Nacht in den alten Norden der Stadt. Bevor wir zu ihm hochgingen, rauchten wir noch eine auf einer Parkbank in der Nähe seiner Wohnung.
»Tel Aviv has a lot of LGBT places, you’ll like it here!«
»Oh are you also LGBT?«
»What do you call a guy, who fucks trans women? Because you have to admit, it’s half-gay…«
Er war mit 1,83m genauso groß wie ich (was dort unten selten der Fall ist), sehr fit, hatte schwarze Haare und war stark behaart. Er war genau mein Typ. In der Wohnung musste ich feststellen, dass alte israelische Bäder wie die alten Französischen Toilette und Waschbecken nicht im selben Zimmer unterbringen. Wie soll man sich hier nur spülen? Insbesondere wenn der Mitbewohner selbstverständlich nicht erfahren darf, dass man hier ist.
Sein Schwanz war riesig und es tat am Anfang auch weh, aber dann hatte ich den Spaß meines Lebens. Mittendrin riss das erste Kondom (da kennt wohl jemand mysize nicht) und einmal habe ich das lauteste und männlichste Grunzen rausgelassen, zu dem mein Sprechapparat fähig ist, in der Hoffnung, dass sich
sein Mitbewohner sein Übriges denkt.
»I really hope my roommate didn’t hear you, I’d be dead if he’d knew!«
(Mir egal) »Yeah he probably didn’t notice anything«
»And fuck the condom broke! I don’t have to be worried, don’t I? You don’t sleep with a crazy amount of dudes?«
(Doch) »No, just sometimes I meet someone.«
Die Unterhaltung danach war kurz und awkward. Es war offensichtlich, dass sowohl er als auch ich uns nicht mehr sehen wollen und/oder in die Augen gucken konnten. Es stellt sich heraus, dass er alle Eigenschaften seines Körpers, die ihn als nahöstlich kennzeichnen und die ich so bestrahlend anziehend finde, ablehnt, weil er lieber westlicher aussehen will. Das Zentrum seiner Welt liegt nicht im Nahen Osten, sondern in Europa. Er sprach mich darauf an, wie ich Berlin finde, seine Lieblingsstadt. Erzählt mir, dass er Verwandte in Heidelberg hat. Findet es seltsam, dass ich Bibelwissenschaften studiere, glaubt mir nicht, dass es trans Menschen im Talmud gibt. Es stellt sich heraus, dass alles was ich (zumindest am Anfang meiner Reise noch) in Israel aufgeben musste (meine Acrylnägel für die Ausgrabung und mein snatched Makeup wegen der extremen Hitze) genau das ist, was er in Frauen sucht. Ich suchte ihn wegen dem vor dem er wegläuft und er suchte mich wegen dem, was ich zurückgelassen hatte.
Der Konflikt war bei ihm weit weg. Am ersten Wochenende in Tel Aviv war er ganz kurz nicht greifbar. Ich verlor keinen einzigen Gedanken an Palästina.
Nach einer harten Woche Ausgrabung an der Grenze zur Wüste in der Schefela, ging es für das Wochenende zurück nach Tel Aviv. Meine Freundin, mit der ich die Reise gemeinsam angetreten habe, ging nach der ganzen Erschöpfung früh schlafen, während ich mich entschied, mit zwei Schweizer Ausgrabungsteilnehmer:innen noch die Gay Szene der Stadt zu erkunden. Nachdem diese auch heimgingen, traf ich mich mit Raphael. Wir wanderten durch die Stadt, er war überrascht, dass ich direkt mit ihm schlafen wollte.
»We have to go to hotel, I have girlfriend.«
»Does she know?«
»No, she don’t know. She don’t know I like the girls with the little extra.«
Es war eine kleine Odyssee mitten in der Nacht noch ein Zimmer in einem Stundenhotel in Jaffa zu organisieren. Und dann noch einen Geldautomaten, weil man die 300 Schekel für 2 Stunden in cash bezahlen musste. Zu dem Zeitpunkt, als wir endlich ins Zimmer gingen, war ich bereits 24 Stunden lang wach. Aber der Anblick von ihm war es wert: Er war ein wenig kleiner als ich, hatte schwarze Haare, einen Vollbart, sein Fell war nirgends gestutzt und sein beschnittener Penis lächelte mich an, während er sagte:
»Are you top or are you bottom?«
»I can be both.«
Seine grünen Augen leuchten auf: »You can top me!!!«
Und das tat ich. Dreimal. Er lag danach da vor Freude und Ekstase. Er bestellte ein Taxi und sagte mir mein Hotel liegt auf dem Weg zu seiner Wohnung. Als der Taxifahrer die Adressen eingibt, sah ich, dass das komplett gelogen war. In dieser 30 Minuten Taxi-Fahrt kam der Konflikt auf einmal so nah.
Er erzählt, wie seine Familie aus Ägypten vertrieben wurde, wie sie nach und nach aufgegeben haben Arabisch zuhause zu reden. Wie er im Libanon kämpfen musste, obwohl er noch in der Wehrausbildung war. Wie er im Ausland studierte danach, um von alldem wegzukommen, nur um überall der Jude zu sein. Mir wird bewusst, wie hier jeder eine Geschichte mit der Judenverfolgung und dem Konflikt hat, dass eigentlich das ganze Land ein einziges Trauma ist. Und dass über dieses Trauma nur manchmal gesprochen wird.
Um 7 Uhr bin ich wieder am Hotel, draußen warten schon Leute. Er küsst mich zum Abschied vor dem Auto, so dass auch allen klar wird, von welchem Abenteuer ich gerade zurückkomme. Es geht zurück zur Arbeit.
Die zweite Woche war wohl die härteste der Ausgrabung, vor allem auch geprägt durch persönliche Konflikte. Dank dem unerträglichen Deutschen (mit dem ich mittlerweile gut befreundet bin) verspielten sich meine Chancen bei meinem Ausgrabungscrush, was rückblickend auch besser so war. Der katholische Priester aus Malta, der meinen Bereich der Ausgrabung leitete, betonte ständig, dass wir auch hier sind, um etwas zu lernen. Ansonsten würde er Palästinenser einstellen für den Job. Alles in der Art, wie er über Palästinenser sprach, rief einen Ekel in mir hervor. Für ihn waren sie keine richtigen Menschen, maximal billige Arbeitskraft. Dieser Priester war übrigens offensichtlich eine Schwester.
Das Wochenende darauf verbrachte die Heidelberger Delegation gemeinsam in Jerusalem, bei eben jenem Priester. Jerusalem fühlt sich so fundamental anders an. Die Spannung ist so schwer, sie drückt einen bei jedem Schritt. Jede Bewegung ist melancholisch. Ich weiß nicht, wen ich schlimmer finde: Die ultraorthodoxen Extremisten, die sich kleine Kolonien erkämpfen und mit MGs verteidigen oder die christlichen Pilger aus der ganzen Welt, die fanatisch im Tunnelblick durch die Stadt laufen. Beide sind mir zuwider.
Ich wollte Knafe kaufen bei einem arabischen Händler in der Altstadt. Er scant mich und sagt:
»You’re man!«
»No, I’m woman.«
Am Ende begleitet mich die ganze Straße bis vor die Tore der Altstadt. Wer kann schon sagen, dass man aus Jerusalem vertrieben wurde?
Abends treffe ich mich mit Ophir. Wir hatten schon am ersten Tag meiner Ankunft in Israel miteinander geschrieben. Er half mir bei allen Eventualitäten des Landes, ohne ihn wären diese wesentlich schwieriger geworden. Ich gehe vom Päpstlichen Institut an die nächste Straßenecke, wo er mich abholt. Und bin froh, dass ich hier nicht lange im kurzen Schwarzen und High Heels unterwegs sein muss. Wir fahren raus aus Jerusalem in ein Stundenhotel in einem westlichen Vorort.
Er ist nur 1,60m, sonst auch nicht groß gebaut, aber er hat die dichtesten Augenbrauen, die ich je gesehen habe. Sein Gesicht kratzt beim Küssen, wie Sandpapier. Er entschuldigt sich, sagt er hatte heute nur Zeit sich einmal zu rasieren. Er ist so hot. Wir wechseln uns ab, wer toppt und essen zwischendurch Trauben und trinken Sekt.
Ophir ist Siedler. Er lebt mit seiner Frau in den Siedlungen, weil sie sich Wohneigentum in den internationalen Grenzen des Staates nicht leisten können. Ophir ist kein religiöser Radikaler, tatsächlich besucht er die Synagoge nie. Ophir wurde aus ökonomischen Gründen Siedler und plötzlich erhält der Konflikt eine ganz andere Dimension für mich. Aber Ophir ist auch maximal überzeugt von der zionistischen Idee. Als ich ihm erzähle, dass ich schockiert davon bin, wie viele Zivilisten in Israel Waffen bei sich führen, wird er energisch:
»We have to defend ourselves! Everyone wants to kill us! It’s our duty to defend our country!«
Ophir ist faszinierend. Politisch konservativ, was den Konflikt angeht. Moderat liberal in allen anderen Angelegenheiten. Er arbeitet sehr gewissenhaft und viel und er kümmert sich liebevoll um seine Familie… Und daneben haben sie eine offene Ehe, wobei seine Frau andere Frauen datet und er trans Frauen. Er erzählt mir, dass seine Frau zwischenzeitlich neidisch war, weil er mehr Erfolg bei trans Frauen hat als sie bei Frauen.
Da ich noch nicht genug hatte, treffe ich mich einen Tag später mit Guy. Ich bin mit meinen Girls vorher noch in einem der normalen Teile der Stadt unterwegs, in die sich die religiösen Spinner nicht rein trauen, was ganz kurz von der Tristesse dieser Stadt ablenkt. Er holt mich vor der Kneipe ab und fährt mit mir… in dasselbe Stundenhotel, in dem ich einen Tag vorher mit Ophir war. Der Inhaber grinst mich an, er wird sich schon seins denken.
Guy und ich müssen in ein Stundenhotel fahren, da er wie fast alle Israelis unter 30 noch bei seinen Eltern wohnt. Während nämlich die Löhne in etwa so hoch wie in Deutschland sind, der Mindestlohn sogar niedriger, so sind die Preise um einiges höher. Wohnungen in Tel Aviv kosten in etwa so viel wie in Manhattan, ein Bier kostet 9€, eine Packung Tabak 20€. Die Stundenhotels bieten Guy und anderen jungen Menschen die Möglichkeit, eine Freiheit in Anspruch zu nehmen, die für Anfang 20-jährige in Deutschland normal ist: Die Möglichkeit spontan Sex zu haben. Andererseits sind sie aber auch Orte von denen Ophir mit seiner offenen Ehe und Raphael mit seinem Fremdgehen profitiert. Sie sind entweder ein wenig außerhalb, in dem Hügelwestlich von Jerusalem oder versteckt in den Apartmentblocks in Tel Aviv, wenn man reingelassen wird, ist man in einer anderen Welt. Aber sind diese Hotels wirklich so schäbig, wie man sie sich vorstellt? Auf jeden Fall! Danach muss man erst mal lange duschen.
Guy war ein Traum! Einerseits verständnisvoll hat er mir ein unfassbar wohliges Gefühl gegeben, so dass ich mich wirklich komplett fallen lassen konnte, anderseits aber die richtige Menge an Härte. Zum Glück wusste er, wie man richtig würgt! Er war so lieb und unschuldig, auch er erzählt mir, dass er gerne in Berlin ist und dort feiert. Ich merke, dass er sich für seinen Bauch schämt, allein daran, weil ich in echt überrascht war, wie viel Bauch er hat, da er es auf Bildern gut versteckt.
An dem Tag bin ich übrigens mega hot. Ein roter Samt-Jumpsuit, Heels, Makeup, alles snatched. In Jerusalem eigentlich kein Look, dafür ist die Stadt nicht sicher genug, die Lage zu angespannt und ich bin froh, dass Guy mich fährt. Wir gehen aus dem Hotel raus zu seinem Auto, ich zünde mir ne Kippe an. Er meint, ich solle erst fertig rauchen, er will nicht, dass sein Auto nach Rauch riecht. Verständlich. Ein Auto fährt ganz langsam an uns vorbei, vier junge Männer sitzen darin und schreien uns irgendwas auf Hebräisch entgegen. Ich weiß zwar nicht, was sie gesagt haben, aber es war derselbe Tonfall in dem ich in Deutschland von mittelalten Männern aus dem Auto heraus als hässliche Transe beleidigt werde. Ich frage Guy, was los ist.
Er grinst mich an: »Oh it’s nothing. It’s just some stupid boys. You don’t need to worry.«
Er guckt hinter sich zu dem Auto, das stehen geblieben ist: »But you can smoke in the car, come on I’ll drive you.«
Und ein paar Monate später schreibt er mir wieder. Er sei vom Einsatz zurückgekommen, er war in Gaza. Er schickt mir Bilder. Von sich an der Front, lächelnd, einen auf starken Macker machend. Wie er sein Gewehr stolz an die Brust geschlagen hat, wie er mit Kumpels auf einem Panzer sitzt. Ich bin nicht überrascht. Von all den sieben Typen wusste ich, dass er derjenige ist, der am ehesten für den Krieg gemacht ist. Wenn rauskommen sollte, dass er Kriegsverbrechen begangen hat, wäre ich nicht überrascht. Und dann schickt er mir endlich auch die Videos, die wir zusammen gemacht haben.
Es ging wieder zurück auf die Ausgrabung und nachdem wir am letzten Tag noch dem wohl schlimmsten und kitschigsten Heiratsantrag in der Geschichte des jüdischen Volkes beiwohnen durften (wie konnte sie dazu nur ja sagen?), war es auch rum mit der harten Arbeit und meine Freundin und ich reisten zurück nach Tel Aviv, um dort noch eine Woche zu verbringen. Am ersten Tag verabrede ich mich abends spontan mit Didi, was kurz für einen wesentlich längeren Namen ist, den ich mir nicht merken konnte.
Zum Sex gibt es echt nicht viel zu sagen. Es war mechanisch, emotionslos, hart und ich kam zum Höhepunkt. Bei Runde Zwei meinte er, er müsste mir unbedingt viel zu hart auf die Lippen beißen. Und nachdem er das mehrfach gemacht hatte, obwohl ich ihm gesagt habe, dass mir das keinen Spaß macht, hab ich die Sache auch beendet. Rückblickend hab ich mich auch gefragt, warum ich zu ihm überhaupt ja gesagt habe, da er voll der Schönling ist und ich eigentlich absolut nicht auf Schönlinge stehe.
Interessant war vor allem das Gespräch davor. Er arbeitete nämlich schon als Tourguide auf dem Ausgrabungshügel auf dem ich war. Er stammt aus den Siedlungen, aus einer religiösen Familie und studiert in Tel Aviv Ergotherapie. Was mir direkt die Frage aufwirft, wie er sich ein unnötig fancy 3-Zimmer-Apartment in einem schicken Viertel leisten kann. Er erzählt mir, das er gut mit einem Archäologen befreundet ist, der an der umstrittenen Ariel-Universität arbeitet. Ich kenne diesen Archäologen, er hielt einen Vortrag bei uns, seine Teilnahme war nicht ohne, immerhin ist er Siedler. Alles in allem war sein Vortrag super langweilig und zielte vor allem darauf ab, nicht noch mehr Konflikt zu schaffen, sprich er leckte den anderen Archäologen den Arsch. Ich weiß nicht wieso, aber ich fand ihn so hot, wie gerne hätte ich seinen Arsch geleckt. Es tat mir dann doch leid, dass ich bei seinem Vortrag eingeschlafen bin.
Und dieser umstrittene Archäologe, der Kippa trägt und in den Siedlungen lebt, erfahre ich jetzt, besucht am Wochenende gerne seinen Kumpel in Tel Aviv, nimmt dort Drogen und schläft mit trans Frauen. Und es ist dort, wo ich denke, dass Israel ohne Tel Aviv nicht funktionieren kann. All die Anspannung des Landes und all das Verstecken, all die Repression und all das verbotene Begehren, wird hier rausgelassen. Tel Aviv wird für mich für immer meine Lieblingsstadt sein. So viel ist mir seitdem klar. Auch wenn dieser kleine Fetzen Land, in dem sich jeder kennt, jede konstant an die Haare geht.
Am Tag darauf gehen wir feiern. In eine Gay-Bar und dann in einen Berlin-Style Hipster-Club mit Drag Show (die war premium by the way, die israelischen Queens haben geslayed des Todes). Und dort sehe ich ihn mit einem Kumpel an der Bar stehen: Ein Kopf kleiner als ich, Glatze, Drei-Tage-Bart, dümmliches Gesicht, massive Oberarme, aber trotzdem eine Plauze. Ich drehe mir eine Zigarette und gehe zu ihm, um ihn nach einem Feuer zu fragen und merke: Der Bub kann sau kein Englisch.
Ich gehe wieder zu meinen Girls zurück, die sich kurz drauf entscheiden, nach Hause zu gehen. Ich bleibe noch, immerhin ist es erst eins und bestimmt 30 Sekunden später steht er bei mir und fängt ein Gespräch ein. Mit Händen und Füßen und seinem sich langsam aufwärmenden Englisch versuchen wir, so etwas wie eine Unterhaltung zu führen. Aber machen wir uns nichts vor, wenn man eine Mission hat, dann braucht man keine Sprache. Wir küssen uns und er zieht mich dabei ganz fest an sich ran.
Auch wenn es wahrscheinlich überflüssig ist, oute ich mich nach dem Kuss bei ihm, in der Erwartung, dass die Wörter »transgender« und »penis« in jeder Sprache dieser Welt zu verstehen sind. Wir gehen zu ihm nach Hause, draußen vor dem Club steht sein Kumpel an einem Falafelstand. Sie unterhalten sich auf Hebräisch und gucken mich dabei an (sehr nett, vor der Ausländerin über sie zu reden). Er, dessen Name ich nicht verstanden habe und den wir einfach mal Max nennen, schaut mich plötzlich an und sagt:
»You so gorgeous, you so beautiful, you woman woman or?«
»Yeah!?« (Was will er mir sagen?)
Zwanzig Minuten Fußweg später sind wir bei ihm. Im Flur fallen wir schon übereinander her, er trägt mich in sein Schlafzimmer. Er schmeißt mich auf sein Bett und seine Hand geht in meine Hotpants.
Schock. Purer Schock.
In meinem ganzen Leben hab ich noch nie einen solchen Gesichtsausdruck gesehen. Eine Mischung aus Überraschung, purem Entsetzen und erbarmungsloser Wut. Es wirkt als fällt die Decke auf mich herab als mein Körper von einer Urangst durchströmt wird. Alles in mir zieht sich zusammen, ich möchte weinen, ich möchte rennen, ich möchte, dass er mich schnell tötet, ich möchte am liebsten bei meiner Mama zuhause sein und mit ihr auf der Couch liegen und Ostfriesentee trinken, während es draußen regnet. War es wirklich schlau, mitten in der Nacht alleine, 3000 Kilometer von zuhause weg mit einem muskulösen Mann, dessen Sprache ich nicht spreche mit nach Hause zu gehen?
Der Moment vergeht. Er setzt sich traurig und niedergeschlagen an den Bettrand und sagt:
»Why you do this?«
»I didn’t do anything…«
»Are you really German or was that also lie?«
»I am German, I never lied to you…«
»What is your real name?«
»Emily…«
»No what’s in passport?«
Ich zeige ihm meinen Pass.
»Oh so you feel like woman inside?«
Langsam versteht er es. Und während ich froh bin, nicht zu sterben, fällt er wieder über mich her und zieht mir meine Kleidung aus. Wir ficken hart, richtig hart. Er schlägt und er würgt und mit was ich nie gerechnet hätte: Plötzlich bläst er mir einen. Sehr zahnig aber für den Effort gibt’s ’ne 1+. Ich kann die 15 Minuten absoluter Angst verdrängen und genieße es vollständig. Auf dem Rückweg ins Airbnb werde ich zweimal belästigt, auf Arabisch. Wenn ich Deutschen diese Geschichte erzähle, sehen sie sich darin wieder in einem gewissen Bild von Arabern bestätigt, aber war es nicht ein Jude, der mich kurz vorher eventuell umgebracht hätte? Wieso wiegen die sexuellen Übergriffe der Araber schwerer als die derer, denen man sich näher fühlt? Und ja, in Jerusalem haben mich Araber aus der Stadt gejagt, aber in Deutschland haben mich schon mit 14 Jahren Neonazis angegriffen und das wirkt für viele eher wie eine lustige Geschichte.
Er will noch Nummern tauschen und sage ihm, er soll seine Nummer bei mir eintippen, ich denke nicht daran, ihm daran zu schreiben. Als ich auf speichern klicke, klickt er auf anrufen. Am Tag darauf schreibt er mir, dass er mich unbedingt wieder sehen will, aber das niemand wissen darf, dass wir uns treffen.
Ich genieße die letzte Woche in Israel voll und ganz. Egal, ob im Restaurant, auf dem Postamt oder im Mittelmeer, überall werde ich angebaggert. Und in Haifa in den Bahá’í-Gärten, als ich auf einer Treppe vor dem Schrein des Bab kniee, der geschlossen hat, bete, spüre ich trotz vierzig Grad brennendem Wetter einen kalten Luftzug und weiß, dass mich meine Mama aus dem Himmel umarmt. Ich weine, so befreiend, wie ich es in meinem ganzen Leben nicht getan habe und seit diesem Tag habe ich Frieden mit ihrem Tod gemacht. Das war mein spirituelles Erlebnis in Israel. Alláh-u-Abhá.
Ich treffe mich eines Abends noch spontan mit Ido. Ich entscheide mich vierzig Minuten entlang dem Strand zu seinen Studiwohnheim in Jaffa zu laufen. Ich kaufe mir mein Lieblingseis Cookie Lida (danke an Tal von der Ausgrabung für den Tipp) und schicke ihm ein Selfie von mir mit dem Eis. Dieses Bild zeigt wie kein anderes wie abgemagert ich nach der Ausgrabung war, jede einzelne Rippe bahnt sich ihren Weg durch mein Top. Da ich die Beschriftung des Wohnheims nicht lesen kann, kommt er mich unten abholen. In seiner grauen Jogginghose (wieso gibt es eigentlich kein heißeres Kleidungsstück für Männer?) zeichnet sich seine Erektion ab, ab dem Moment in dem er mich sieht.
Es ist ein kleines Zimmer, er hat gerade sein erstes Jahr Uni hinter sich, war davor beim Militär. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es sein muss nach dem Abi noch drei Jahre Wehrpflicht zu haben, bevor man normal leben darf. Auf seinem Instagram sind Bilder von ihm bei der Truppe. Er wirkt stolz zu dienen, aber es wirkt nicht so, als ob es ihm liegt. Ich bin die erste trans Frau, die mit ihm schlafen will, erzählt er mir, er hätte sein ganzes Leben schon davon geträumt. Wir rammeln. Anders kann man es nicht ausdrücken. Wir springen aufeinander und übereinander her und genießen drei Stunden reine Lust. Es ist wahrlich der krönende Abschluss meiner Reise.
Er ist sogar größer als ich, fast zwei Meter, super haarig , Drei-Tage-Bart und wird wirklich nie schlaff. Manchmal ist es doch gut mit einem Jüngeren zu schlafen. Von allem was er mir erzählt, was er im Leben gerne sehen und tun würde und was er in seiner Freizeit macht, wird schnell klar, dass er dringend zu den coolen Leuten in Tel Aviv gehören will. Dass diese Leute nicht wirklich cool sind, wird er wohl noch lernen müssen. Aber solange kann er ja noch bei den Muskelprotzen am Strand chillen und von einem Besuch im Kitkat in Berlin träumen. Er wirkt so unschuldig. Und es ist seltsam, wie so viele hier, will er den Berlin-Vibe leben und mit einer deutschen trans Frau zu schlafen, macht ihn nicht nur geil, sondern lässt ihn auch an diesem Vibe teilhaben. Auf Instagram sehe ich später, dass ich nicht das einzige deutsche Schätzchen bin, dem er folgt.
Zwei Monate, als der Krieg ausbricht, weiß ich einfach, dass er eingezogen wurde und ich habe Angst um ihn. Er wirkt auf mich nicht, als ob er das überleben kann. Er schreibt mir. Ich schicke ihm all meine Nudes, um ihn aufzuheitern, in der Annahme, dass er bald stirbt. Das war mein Beitrag zu den israelischen Kriegsbemühungen. Ich war in meinem Leben selten so erleichtert, wie in dem Moment, in dem er vom Militär entlassen wurde. Er hat jetzt einen Kurs besucht, um DJ zu werden und das passt einfach zu ihm.
Eine Woche nach meiner Rückkehr, immer noch abgemagert und samtig braun, geht es für mich ans Uniklinikum Freiburg. Nachkontrolle zu meiner Orchiektomie und Beschneidung mehrere drei Monate vorher. Mein Chirurg spricht mich auf mein hebräisches Tattoo auf dem Oberschenkel an, erzählt mir von seinem Studienaufenthalt in Jerusalem und wie toll er die Stadt fand. Waren wir in derselben Stadt oder war Jerusalem in den Neunzigern was ganz anderes?
Eigentlich treffe ich mich in Freiburg immer mit Timo, aber der hat keine Zeit. Und so suche ich mir im Wartezimmer der Klinik auf Grindr schnell ein Date, bevor es zurück nach Heidelberg geht. Ich fahre zu seiner WG in einem Altbau voll mit linken WGs - wie Klischee. Firas begrüßt mich an der Wohnungstür und wir gehen in die Küche, wo er mir einen arabischen Kaffee macht.
»So do you like wanna go on hormones or something like that?«
»I am on hormones…« (Augenrollen)
»I’m sorry, I always wanted to meet a transgender, I don’t know what to say.«
Ein wenig aus dem Nichts heraus, erzählt er, dass er aus Dubai kommt und hier studiert. Er ist palästinensischer Staatsbürger und obwohl er noch nie dort war, hat er die Gaza-Staatsbürgerschaft. Und da eine Einbürgerung in die Emirate nicht möglich ist, muss er die auch behalten. Er sagt, ich solle Dubai mal besuchen.
»I can’t. Transgender people are legally not allowed to enter the Emirates.«
»That’s not true! We have transgenders! There are ladyboy hookers in the massage salons.«
Dass man trotz »islamischem« Gesetz thailändische Prostituierte einreisen lässt, überrascht mich dann doch weniger, als es sollte. Mir wird das Gespräch zu dumm, ich nehme ihn mit in sein Schlafzimmer und nehme ihm seine anale Jungfräulichkeit. Er ist groß, hat wunderschöne Augen und eine perfekte Haut, er könnte den schönen jungen Mann in einer arabischen Romanze spielen. Aber jetzt ist er erstmal meine Bitch.
Danach bin ich auch entspannter und wir reden lange, rauchen Zigaretten, trinken Kaffee und vögeln noch zweimal.
»It’s so nice, I always wanted to explore my feminine side.«
Er erzählt mir, wie es ist in der Diaspora aufzuwachsen, von den Geschichten, die er über die israelische Armee gehört hat, wie die Soldaten im Westjordanland die Palästinenser missbrauchen. Er macht sich darüber lustig, dass die Grenzbeamten seinen Namen nie richtig aussprechen können und ich weise ihn darauf hin, dass ich es auch nicht kann. Ich erzähle ihm von meiner Reise und meinen Impressionen. Im Unterschied zu meinen Erfahrungen in Israel bin ich bei keinem Satz von ihm überrascht.
Überrascht und noch mehr entsetzt bin ich eher darüber, dass mir im Gespräch mit ihm klar wird, wie sehr ich in der letzten Woche in Tel Aviv den Konflikt verdrängt habe. Er war nicht weg und im Gegensatz zum ersten Wochenende in der Stadt war ich auch nicht mehr naiv. Ich wollte ihn einfach aus meinem Kopf haben und in dieser Stadt am Mittelmeer kann man das. Ich merke, dass der Konflikt an jenem ersten Wochenende auch deswegen weg war, weil jeder ihn verdrängt. Weil man nicht leben kann, wenn man ihn ständig vor Augen hat.
Für Firas ist das Konfliktbild sehr klar: Israel ist böse und aus seiner Perspektive und der seiner Familie kann man das auch schlecht leugnen. Aber warum sind die Emirate nicht böse, obwohl sie seine Familie für ihre Arbeitskraft ausbeuten, ohne ihnen die Staatsbürgerschaft zu geben? Warum kann ich nach Tel Aviv fliegen und nicht nach
Dubai?
»The next time you’re down there, you have to go to the Westbank! You can visit my family! But just
don’t tell them you’re a trans, tell them you’re a woman.«
»Firas, I am a woman! But they wouldn’t believe me, if I said I weren’t trans!«
Er sagt, dass er die Hamas besser findet, als die Fatah, da die Fatah nur mit den Israelis redet. Er macht sich lustig über die israelischen Opfer von Terrorangriffen. Ich bin schockiert, aber auch wieder nicht überrascht.
Ursprünglich wollte ich den Text mit einer klaren Positionierung in dem Konflikt beenden und schrieb einen steifen, viel zu langen Abschnitt, um meine Erfahrungen mit dem Konflikt zusammenzufassen. Aber nach alldem, was ich erlebt habe, bleibt mir nur eins zu sagen: Ich mag zwar für vier Wochen die eine wahre transsexuelle Diva Israels gewesen sein (sorry Dana, I think I snatched your crown), aber was niemandem hilft, ist das Einmischen einer weißen, katholischen Frau, die eher am Eindringen in die männliche Hälfte der dortigen Bevölkerung interessiert war.
P.S.: Wenn der Krieg rum ist, findet ihr mich am Strand von Tel Aviv zwischen zwei Boys liegend.
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