Sprache aus den Randzonen der Erfahrung: »Unterwegs zur Heilung« von Lukas Heger
Die im letzten Jahr erschienene Gedichtsammlung »Unterwegs zur Heilung« von Lukas Heger präsentiert Poesie als Zeugin psychischer Krankheits- und Heilungserfahrung. Dabei legt das sprachlich ausgefeilte und stilistisch formstrenge Werk den Fokus nicht auf das Ziel vollständiger Heilung. Stattdessen, wie der Titel bereits sagt, betont es Heilung als etwas, das fortwährende Auseinandersetzung benötigt. Der Weg dorthin scheint eine Art sich-nach-außen-kehren, um letztendlich in heimische Gefilde zu münden. Im Folgenden wird der Band in einigen Details genauer besprochen.
Sein Erstlingswerk öffnet Heger mit einer Collage verschiedener Krankheitsbilder. Knapp ist der Einstieg, als müsste der Autor selbst erst Worte finden. Nicht dass er das nicht schaffen würde, »Nichts als die Nichtigkeit bleibt und erdrückende Schwere« ist bereits Teil des ersten Gedichts. Von Anfang an sind Form und Rhythmus prägnant, trotzdem ist die Lektüre nicht gefällig. Der spielerische Charakter und die Vielseitigkeit der Sprache Hegers täuschen nie über den thematisch schweren Einstieg hinweg. Im Laufe des Bandes gelingt es dadurch, die Versöhnlichkeit des Prozesses Heilung herauszuarbeiten. Im ersten Abschnitt bleibt das poetische Ich jedoch noch bis zuletzt bei sich und schafft ein Panorama dessen, »was im Inneren immerzu schreit.« So geht der Eingang nah, dennoch schafft der gefasste Ton die Möglichkeit, Distanz zu wahren.
Dies löst sich im zweiten Teil «Klagen der Natur« in eine unmittelbarere Sicht auf, die durch ihre bedrückende Schönheit einnimmt (»Blüten sterben zart«). Gedichtformen wie Sonette, Haikus und asklepiadeische Oden erhalten ihren ersten Auftritt. Zunächst scheint dabei aber dem Verlauf der Natur eine Periodizität zugestanden zu werden, die aber entgegen des üblichen Verständnisses von einer dunklen, rückwärtsgewandten Stimmung begleitet wird, so bei »Hört ihr nicht, wie im Lied frühlingshaft, vogellaut / Wintertöne ersterben?« (zumal es im Kontext dieses Verses die Abwesenheit von Tönen ist, die stirbt). Grade deswegen entfalten die nun immer wieder aufflackernden Hoffnungsschimmer einen ordentlichen Sog. Gleichzeitig wird durch das Aufbrechen der Form ein Übergang feststellbar: Das poetische Ich wird nahbarer, es entsteht der Eindruck, dass sich dessen es Wahrnehmungsrahmen langsam auflöst, beispielsweise, wenn Heger die Melancholie des Herbstes beschreibt. Im Namen dieser leitet »alle Wärme entflieht, wandernden Vögeln gleich« zum letzten Teil über, der auf der Oberfläche diverse psychotherapeutische Methoden thematisiert.
Darunter passiert jedoch viel. Zunächst aber trägt Pindars »Werde, der du bist!« die Ästhetik Hegers Poesie mit viel Hoffnung in den längsten Abschnitt, denn: »schließlich bestimmt, wie am Leiden wir reifen, / Und nicht unser Leiden an sich unser Sein.« Der von Pindar vorgezeichnete Weg ist von Problemen begleitet, aber entfaltet sich auf erstaunlich leise und unbemerkte Weise. Dazu wird eine beeindruckende Bandbreite an Material aufgefahren. Sowohl Mystik als auch die simple Lust am Essen (dort tritt die Dunkelheit das erste Mal in den Hintergrund) und »roher Speckstein« werden bearbeitet. Klassische Themen wie Öffnung und das Annehmen von Hilfe finden ebenso Platz, und auch der Frage, ob Gedichte schon Teil einer Therapie sein können, wird nicht aus dem Weg gegangen.
Das Arrangement geht auf, wenn das poetische Ich langsam durch die verschiedenen Therapieformen schreitest, jedes Gedicht etwas lockerer, und vieles auf dem Weg für sich einzusammeln scheint. Leider wirken Reime und strukturbetonte Poesie der Befreiung, die gegen Ende immer mehr durchklingt, zum Teil entgegen. Heger könnte hier den Mut zur freien Form finden, zeigt er doch zu genüge, dass er einiges in Petto hat. Dennoch kehr mehr und mehr Lebendigkeit in die Gedichte ein, beispielsweise, wenn »Der Lärm der Welt« mit Musik konfrontiert wird: »Er wird von jenem schönen Klang verjagt, / Der immer schon in uns verborgen steckt, / Die Welt zum Schwingen bringt und uns erweckt.« Eine schön in Szene gesetzte Zwischenstation ist das Gedicht zur Sammlung Prinzhorn in Heidelberg, in das Heger zudem Titel vergangener Sonderausstellungen wie »Gewächse der Seele« und »Außenseiten« einarbeitet. Durch das Wechselspiel von innerem und äußerem Rahmen, der Darstellung der jeweiligen Problematik und deren Vermittlung stellt es Funktionen der Sammlung auf sehr poetische Weise dar. Gleichzeitig ist es ein Panorama des Bandes an sich.
Der Band schließt in vertraut wortgewandter Manier mit dem Gedicht »Psychoanalyse-Gruppe«. Eine Lobrede auf die Gemeinschaft, beginnt es mit einem Schweigen, dem das poetische Ich begegnet, ohne das Schweigen deshalb nicht auch zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig aber bricht es die Stille, um mit einem »Hier habe ich, dem Liebenden fast gleich / Mich selbst erst durch die andern ganz gefunden.« zum Ende zu finden.
Es bleibt offen, ob die Kraft dieser lustvollen Sprache mit dafür verantwortlich ist, den Gang in Richtung Heilung stattfinden zu lassen. Nicht zu unrecht sind die Therapieformen, die Heger im dritten und letzten Abschnitt bespricht, alle darauf konzentriert, einen Ausdruck dessen herauszuarbeiten, was in den Patient:innen vorgeht. Wie »Unterwegs zu Heilung« zeigt, läuft der Weg dorthin oft über gesprochene Sprache. Das Schöne aber ist, dass Verbalisierung, grade auf die hier gezeigte Art, unabhängig von diesen Überlegungen vielerlei Fragen und Gedanken anregt, ebenso wie ein breites Spektrum aus Neugierde, Verwunderung und Überraschung. Denn Heger hat sich auf die Suche nach etwas begeben, das sich schwer vermitteln lässt. Und er hat einiges gefunden.
»Unterwegs zur Heilung« von Lukas Heger ist bei Amazon erschienen, wo es für 9,95€ zu erwerben ist.
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