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  • Jakob Burgi

Tümpel

Der Gebirgsbach bahnt sich seinen Weg durch das Geröllfeld zu meinen Füßen, leicht trübe springt das Wasser Steinstufen herab, quillt zwischen den Lücken der Felsbrocken heraus und strömt nach rechts ins schmale Tal hinein. Sobald es einige Meter unbehelligt fließen kann, jubiliert in ihm der tiefblaue Himmel. Ich folge einem ausgetretenen Pfad in die Senke hinab, bald springen mir zahlreiche Tropfen entgegen. Im Sonnenschein tauche ich durch ihre Begrüßung: ein Schauer aus Regenbögen. Die tiefe Kälte, die der Fluss von da mitbringt, wo das Wasser aus den Felsen steigt, lässt sich noch nicht erahnen. Lediglich das Salz, das er aus dem Gestein gewaschen hat, zeigt sich bereits in der Trübung des Wasser und an dem an vielen Stellen von Salzblumen bedeckten Talboden. Meine Schuhe kratzen an den Kristallen, sobald ich dem weißlichen Wasser nahe komme. Die Kälte hingegen wartet geduldig auf größere Becken, die der Bach entlang seines Laufs ein wenig später füllt. Neben diesen Tümpeln glitzert der sonnenbeschienene kahle Fels, auf den ich mich lege. Im schattigen Teil der Wasseroberfläche neben mir verliert sich mein Blick in der Tiefe. Das Salz im Wasser zieht wie Wolken vor das Gestein und verschlingt vom Rand kommend langsam das Becken. Ich folge der Maserung des Felsens soweit wie möglich nach unten, dann den Konturen der Kanten, Vorsprünge und Risse, bis auch diese nicht mehr zu auszumachen sind.


Ein kleiner Pfad klettert von meinem Sonnenplatz aus zu einer Plattform im Stein einige Meter über mir, von der man sehr gut in den Tümpel springen kann. Auch die Plattform liegt in der Sonne, und so verlege ich meinen Ruheort dorthin, um ihrem Licht etwas näher zu sein. Ich stelle mich an die Kante, und blicke von oben ins Wasser, in der Hoffnung, die Untiefen von hier besser zu durchblicken. Keine neuen Einblicke. Ich würde gerne mit jemandem darüber reden, aber im Zweifelsfall wüsste diese Person auch nicht weiter. Nur der Tümpel weiß Bescheid. Aber er hat sich entschieden, nicht zu reden.

Ich überlege, ob ich springen soll. Da fällt mir auf, dass ich schon im Tümpel bin. Das Wasser ist eisig, das Salz schmeckt scharf, es brennt in den Augen. Aber auch von hier lässt sich nicht erkennen, was sich unter dem Wasser befindet. Ich schnappe nach Luft und suche nach etwas, an dem ich mich zumindest kurz festhalten kann. Ich drehe mich im Kreis und finde nichts, dass diesen Zweck unmittelbar erfüllt. Ich muss mich zwingen, meine Unruhe in Schach zu halten, und tauche fahrig in irgendeine Richtung, bis mir einfällt, dass Wasser trägt. Es heißt mich einfach zu bewegen, dann klappt das schon. Ein Ursprung, der genau dadurch ins Leben gerufen wird, dass man das tut, was ihn als eigene Bedingung hat. Dort trennen sich die Pfade. Was sich jedoch nie trennt, ist fließendes Gewässer. Ich tauche auf, steige über die spitzen Salzkristalle am Beckenrand aus dem Tümpel, und stehe endlich beglückt neben mir.

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